Ísland, heißt es, habe karge Böden. Wir halten das für völlig übertriebene Zuschreibungen. Solche Zungen waren noch nie im Hof bei uns zuhause. Aber ein wenig Staubfegen, das könnten sie schon hin und wieder.
Wir mussten, nein, wir wollten von Rekjavík gen Norden, nach Akureyri. Das fährt sich, wenn F links sitzt, binnen viereinhalb Stunden, eigentlich ein Klacks. Wir aber wollten auf dem Hinweg in die Vogur Country Lodge in Fellsströnd, eine Halbinsel unterhalb der Westfjorde. Die Lodge hat es uns seit dem ersten Mal, 2013, angetan. Seitdem kommen wir jedes Mal wenigstens für eine Nacht her.
Der Gastgeber der Lodge ist so knorke, voll so feiner Ironie, dass man aus dem Schmunzeln, ja Lachen nicht mehr herauskommt, selbst wenn man nur eine Nacht vor Ort ist. Wir wissen nicht, wie er heißt. Und aus Gründen haben wir bis heute kein Foto mit ihm gemacht; das werden wir beim nächsten Mal nachholen.
Jedenfalls wäre ein einfacher Ausflug nur zur Vogur Lodge zu einfach gewesen. Also haben wir, es liegt auf dem Weg, einen Abstecher über die Halbinsel Snæfellsnes eingebaut, insbesondere nach Ólafsvík. Dort waren wir zwar schon mal, aber die Landschaft ist so irritierend, dass es sich neuerlich lohnt.
Und dann natürlich auch die Fahrt von Fellsströnd am folgenden Tag nach Akureyri. Aber seht selbst.
Ísland, heißt es, sei ein Land, das den Bierkonsum hinreichend schätze. Wir halten das für ein Gerücht, aber für ein gut begründetes.
Umso mehr hat uns das oben abgebildete Fundstück aus der Enski barinn gewundert. Das ist der English Pub in der Austurstræti 12, bzw. kann man auch „hinten“ schön in der Sonne sitzen, am Austurvöllur mit Blick aufs Parlament, das Alþingi.
Jedenfalls wurde in diesem Pub doch ernsthaft behauptet, Bier helfe englischen Menschen, Sex zu haben. Wir zweifeln noch an der Glaubwürdigkeit dieser Behauptung.
Ísland, sagt man, das sei ein Land ohne eigenes Militär. Das stimmt wohl. Und dennoch sind sie Gründungsmitglied der NATO. Das dürfte sich auch auf die globalen Beziehungen auswirken.
Man kann es direkt sehen, wenn man durch ein kleines Diplomatenviertel im Westen der Hauptstadt Reykjavík spaziert. Dort residiert(e) neben der französischen Botschaft die Dependance Russlands. Vielleicht kann man die Farbkleckse links im Bild oben erkennen. Offenbar haben kurz nach Putins Invasion in die Ukraine einige Isländer den russischen Diplomaten einmal mitteilen wollen, was sie so davon halten.
Übrigens: In Island haben gerade einmal 14 Länder eigene Botschaften, darunter auch Deutschland. Bürger aus Staaten ohne eigene Vertretung können sich via Amtshilfe auch an andere Botschaften wenden.
Kurzer Schlenker: Die Botschaft Russlands befindet sich an der Túngata direkt gegenüber der Landakotskirkja, einer katholischen Kirche, die 1929 eingeweiht wurde. Etwa vier Prozent der Isländer sollen Katholiken sein, eine erfolgreiche Gegenreformation hat es hier nicht gegeben.
Aber zurück zum Militärischen: Isländer sind ja Norweger. Das sollte man ihnen zwar lieber nicht direkt sagen, aber es spricht sehr viel dafür, dass es um 900 nach Christus Wikinger aus Norwegen waren, die das Land besiedelt haben. Ende der 14. Jahrhunderts, die letzter norwegische Königsdynastie war ausgestorben, übernahm sukzessive das dänische Königshaus das Regiment – zum Ende allerdings wohl mit recht langer Leine; die Hoheit über die Rechtssprechung sollen die Isländer selbst innegehabt haben. 1874 haben die Isländer eine eigene Verfassung erhalten. 1943 lief die Union mit Dänemark aus. Am 17. Juni 1944 – das ist der Nationalfeiertag, deswegen sind diesen Freitag auch sämtliche Vínbúðin geschlossen – wurde am Þingvellir die Republik Island ausgerufen.
Und zu diesem Zeitpunkt hatte Island Militär, allerdings ausländisches. Weil im Zweiten Weltkrieg die Briten vermeiden wollten, dass Nazideutschland Island einnimmt, haben sie Land und Inseln besetzt, ein Jahr später stationierten sich US-Truppen hier.
Als sich 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Beginn des Kalten Krieges die NATO gründete, war Island sofort mit dabei. Für Staaten wie die USA, die bis 2006 Truppen in dem Land stationiert hatten, dürfte das schon geografisch ein Gewinn gewesen sein. Nach Norden – über den Pol – kommt man schnell nach Russland.
Für Island war die NATO der Vorteil, dass sie keine eigenen Streitkräfte unterhalten mussten, würden sie im Falle eines Angriffs doch von der Beistandsklausel in Artikel 5 des NATO-Vertrags profitieren und Schützenhilfe durch die anderen Mitglieder erhalten.
Während der Zeit der US-Anwesenheit gab es die Island Defense Forces (IDF, gleichlautend wie in Israel) unter US-Kommando. Seit dem Abzug der US-Truppen wird die militärische Unterstützung durch Norwegen und Dänemark – das sind sie wieder – gewährleistet. Mit beiden Staaten hat Island auch Verträge für die Überwachung von Luftraum und Hoheitsgewässern.
Tatsächlich gibt es hierzulande eine sogenannte Krisenreaktionseinheit, die Íslenska friðargæslan. Die besteht aber aus Zivilisten und einigen Polizeiangehörigen; ausgebildet werden sie wohl in Norwegen. An der einen oder anderen Friedensmission hat sich diese Einheit auch schon beteiligt, etwa im Rahmen der ISAF in Afghanistan.
Ísland, heißt es, sei ein Land, in dem alle nur „Huh“ machen. Mag sein, wir können‘s weder bestätigen, noch können wir‘s dementieren. Und wer bei der Headline an Gerdi, bzw. Gerti denkt, der ist eh fehl am Platze. Huh, das gibt es trotzdem.
Als wir einige Wochen vor der Reise mit M und N – Erstere ist hinreichend fußballverrückt – beisammensaßen, kam uns kurzzeitig der Gedanke, man könnte doch einmal ein isländisches Fußballspiel anschauen. Dumm nur, dass zum Zeitpunkt unseres Urlaubs die hiesige Premier League, die Besta deild (gerne auch mit Ergänzung „karla“ für Männer) bereits durchgespielt war.
Ein Blick auf den Spielplan auf www.ksi.is war ernüchternd, nicht einmal Testspiele standen im Plan. Wie auch, dafür waren wir viel zu früh hier. Nicht, dass wir etwas von Fußball verstünden, mit dem Sport etwas am Hut hätten oder gar Ground Hoppers wären, aber so ein Spielchen wäre schon einmal ganz nett. Dazumal die isländische Nationalmannschaft, die Karlalandslið Íslands í knattspyrnu 2016 bei der Fußball-EM mit dem vielen noch bekannten „Huh!“ ihrer Anhänger ziemlich für Furore gesorgt hatte.
Uns kam trotzdem nicht in den Sinn, dass die männliche Auswahl des KSI (Knattspyrnusamband Íslands), des isländischen Fußballverbands freilich auch an der Nations League teilnimmt, die wohl eine Mischung aus Testspiel und Qualifikation für die internationalen Wettbewerbe ist.
Aber es gibt ja Menschen wie M, die einen auch aus der Ferne helfen, diese – unerkannten – Wissenslücken zu kompensieren. Wir waren Montag, es war der 6. Juni, just auf der Reykjanes-Halbinsel eine lutheranische Kirche besuchen, die Strandarkirkja. Das Original soll im 12. Jahrhundert erbaut worden sein; dort waren damals Seeleute zum Gottesdienst gegangen.
Die Strandarkirkja; hinter dem Fotografen ist das Meer.
Jedenfalls erreichte uns eben dort via Textnachricht der Hinweis, die isländische Nationalmannschaft spiele doch heute Abend zuhause gegen Albanien. Nee, echt jetzt?! Handy raus: Wegstrecke checken – passt. KSI-Website aufrufen: Keine Chance, lost in translation. Hmm. Eventim? Kein Anschluss unter dieser Nummer. Google: Tickets Iceland Albania. Bringt als Ergebnis Flugverbindungen. Am Ende sind wir durch irgendeinen Suchkniff, den wir vergessen haben, auf www.tix.is gelandet – und konnten in der Tat zwei Tickets buchen, in Block N (Gegengerade), Reihe E, für 5500 Kronen je Person, was fast 40 Euro sind.
Da waren wir dann auch nach 45 Minuten Fußmarsch durch die Stadt – mittendrin in Block N. Hätte uns einer gesagt, dass dort die Ultras sitzen, wären wir vermutlich dennoch hin. Wie gesagt, mit Fußball haben wir nichts am Hut.
Und das Stadion, das Laugardalsvöllur, hat uns ein wenig an manche Spielplätze ab der 3. Liga und abwärts bei uns erinnert. Aber mauschelig war es.
Und F konnte hie und da beim „Huh!“ mitmachen. Das mögen manche vielleicht bekloppt oder sonst wie finden, er fand es aber dufte.
Ísland, heißt es, sei eine Insel gewordene Ansammlung voller Automobile. Da ist etwas dran. Insbesondere bei besonderer Betrachtung der besonderen Mobile.
Ísland, heißt es, sei ein Land voller und vor allem schräger Vögel. Wir können das bestätigen, insbesondere wenn man einzelne Erlebnisse aus einschlägigen Pubs oder einer Lodge, die uns sehr ans Herz gewachsen ist, heranzieht.
Beim Leuchtturm von Gunnahver aber kamen uns andere Vögel entgegen. Zunächst wurde auf einem Schild vor ihnen gewarnt. Da unser Kenntnisse der hiesigen Sprache doch reichlich eingerostet sind, bemühten wir Google: „Vögel auf der Straße Eisprung verboten Schutzgebiet“.
Aber guckt doch nur: Wie putzig die kleinen Tierchen auf dem Schild versammelt sind.
Jedenfalls soll es sich, wie eine aufwändige Recherche in der Nationalbibliothek, an der Universität, im Rathaus und eben im Pub ergeben hat, um Sterna paradisaea handeln, die Küstenseeschwalbe. Die brütet an just diesem Leuchtturm und den felsigen Felsen im Meer davor. Familientiere müssen sie sein, denn uns Touristen mögen sie nicht: D wurde von einer direkt attackiert, am Kopf. Das heißt auf Küstenseeschwäbisch etwa: „Hau ab, du Arsch!“
Laut unserer Recherche, die auch auf Wikipedia nachzulesen ist (Plagiat, Skandal!), brüten die Vögel in der Nordpolarregion und überwintern (bzw. übersommern, je nach Sichtweise) am Südpol. Das heißt, die fliegen einmal Mal im Jahr von oben nach unten (Geografielehrerin: „Setzen, sechs!“) und dann wieder nach Norden – macht krasse 30.000 km Flugleistung p.a. Manche Tiere sollen gar auf über 90.000 km kommen, das wäre zweimal um den Globus. Und das, obwohl sie nicht einmal 150 Gramm wiegen.
Ísland, heißt es, sei ein gespaltenes Land. So ähnlich wie BRD und DDR, Nord- und Südkorea? Nein, ganz und gar nicht. Denn der Graben, der durchs Land geht, reicht tiefer, viel tiefer.
Denn durch das Land, durch die Insel zieht sich der sogenannte Mittelatlantische Rücken, der im Süden in die Silfra-Spalte mündet. Hier stoßen Nordamerika und Europa aufeinander, vulgo die eurasischer mit der nordamerikanischen Kontinentalplatte. Ein Wunder, dass Ísland Gründungsmitglied der NATO ist.
Bewundern kann man die Spalte besonders im Þingvellir-Nationalpark östlich der Hauptstadt. Þingvellir spricht sich übrigens wie Thinkwetlier und muss soviel heißen wie Ebene, in der sich das Volk versammelt.
Oder man bewundert die Spalte eben an der Bridge between Continents, wenn man auf der Nesvegur, der 425 von Hafnir nach Süden fährt – oder andersherum. Das ist in Ísland eh wurscht, man kommt immer wieder da raus, wo man angefangen hat. Wie Rom.
Eine Landschaft voller Gräben und Hinweisschilder – wir haben, aus Gründen natürlich nur die Platte mit dem Vermerk auf die eurasische Platte fotografiert. Alle Weitere erübrigt sich.Der Weg zur Spalte aller Spalten ist mit Herzchen gesäumt.
Ísland, heißt es, sei das Land der Trolle und Elfen. Aber auch Geister muss er hier gegeben haben, jedenfalls Geisterinnen. Eine heißt Gunna, und die spu(c)kt heute noch.
Zu betrachten ist das in Gunnuhver, einer kleinen Region ziemlich im Süden der Halbinsel Reykjanes (das ist der Landesteil, der sich südlich der Hauptstadt Reykjavík bis zum westlichen Ende der Insel zieht). Dort gibt es einen Leuchtturm, der heißt auch Gunnuhver. Und es gibt gleichnamige heiße Quellen, die Fachleute sprechen von Hot Spring. Eine Sprache, die uns nicht weiter irritieren soll. Genau genommen handelt es sich außerdem um Schlammquellen; Heiß kommt dennoch heraus.
Jedenfalls soll es vor rund 400 Jahren an dem Ort einen fürchterlichen Fall von Verbannung gegeben haben. Einer Frau namens Gunna soll, weil sie Schulden hatte, das letzte Stück Hab und Gut, ein Topf, genommen worden sein. Darauf soll sie völlig bekloppt geworden und in der Folge gestorben sein. Vor dem Begräbnis soll sich aber ihr Geist befreit haben, der daraufhin rachsüchtig durchs Dorf zog und alle bekloppt gemacht habe. Ein findiger Priester-Zauberer-Hexer-Kerl soll sie dann mit einem Trick in die Quelle gestoßen haben. Dort speit sie wohl heute noch.
Seit fast 24 Stunden sind wir jetzt auf der Insel mutmaßlich aller Inseln, aber das wichtigste fehlt bislang: der Flugbericht. Die Auflösung für die Verspätung kommt später. Jetzt aber der Flugbericht.
Wir wussten schon, dass es viel und spätes Licht geben würde in Island. Über Leverkusen war es noch düster, im Norden leuchtend.
Über Leverkusen, kurz nach dem Start um 22:10 Uhr.
Über dem Nordatlantik aber wurde es immer mehr rötlich. Die Dame heute Morgen im Hotel fragte uns nach dem „pink sky“. Okay. Er war orange.
„All doors in flight!“ Ihr kennt den Imperativ. Heute hat die Crew die Rechnung ohne den Wasserlieferanten gemacht.
Der kam, nachdem die Türen zu waren, noch rasch von rechts an 1R hochgefahren und hatte Wasser im Gepäck. Wozu eigentlich? In Island gibt es doch genügend Vatn. Es bleibt spannend.
Wir wollen die Reise mit dem üblichen Procedere beginnen: Verpflegung. Aber es sollten unerwartete Hindernisse vor uns liegen.
Die Pandemie zeitigt (unerwartete?) Nebenwirkungen. Nach zwei Jahren des gelähmten Flugverkehrs, Linienkürzungen, Entlassungen und Kurzarbeit, scheint auch im Flugdienst im Moment vieles auf Kante. Hinzukommen wohl B2-bedingte Ausfälle – und wir Menschen wollen dennoch wieder reisen wie einst. Alles raus, und ab in die Schlange.
Eine höhere Reiseklasse bucht man für gewöhnlich, um sich (a) für etwas besseres halten und (b) vermeintliche Vorzüge in Anspruch nehmen zu dürfen. Heute hat es nur bedingt geklappt.
Der Personalausfälle am Flugvöllur in Frankfurt (s.o.) wegen, gab es beim Sicherheitscheck keine Fast Lane, sondern eine für alle. Das ging, obwohl sehr viel Verkehr dann doch binnen 20 Minuten relativ zügig. 20 Uhr drinnen, Freude auf unsere Liebste, die Panorama Lounge bei A26 (hat auch eine Möglichkeit für Raucher und Innen): Hat zu! Doof. Dann eben nach oben. Dort: Voll. Okay. Invasiv dann doch ein Plätzchen erobert.
21 Uhr: Ab zu Gate A62, das ist immerhin auf der anderen Seite von A. Also den ganzen Finger retour und in den anderen rein. Pünktlich. Dann abwarten des Prebordings für Passangers with small children – es durften auch 16-Jährige durch. Läuft wie am Schnürchen.
Heute geht es los, zur nächsten Reise nach Island – mit der LH 868 um 21.50 Uhr von Frankfurt. Planmäßig soll das die D-AINO, ein Airbus A320-271N sein, den Lufthansa im Dezember 2018 in Dienst gestellt hat und der unter dem Namen Rastatt fliegt. Im Moment, da dieser Post entsteht (Sonntag, 16.22 Uhr), ist die Maschine noch als LH 1556 auf dem Weg nach Thessaloniki, der Rückflug von dort als LH 1557 jetzt schon auf Delay mit 20 Minuten. Daumen drücken!